10. September 2014

ON TOP OF THE WORLD

Ganze zwei Wochen ist es jetzt schon wieder her. Vor drei Wochen packten wir unsere Rucksäcke, Steigeisen, Eis-Pickel, Helme und uns selbst ins Auto und brachen auf in Richtung Italien. Besser gesagt Südtirol. In Sulden angekommen, warfen wir uns in die Wanderstiefel (noch blasenlos und ohne Muskelkater) und packten unseren Rucksack für 6 Tage und 6 Nächte fern von Internet, Autos, Fernsehen. Da wir das große Abenteuer nicht ohne Hilfe und ausgebildeten Bergführer antreten wollten starteten wir zusammen mit einem Bergführer in unser kleines "Projekt Ortler". Mit dem Bergführer fuhren wir einmal um das Ortler-Gebiet herum und über das Stilfser-Joch nach Bormio (vielleicht bekannt durch den Ski-Weltcup). Dort erwartete uns gleich das erste Abenteuer, die Fahrt im Kleinbus von Bormio zum Parkplatz. Eine Straße, die niemals Platz für entgegenkommende Autos ließe und am Berg schonmal die Reifen durchdrehen ließ. Aber natürlich haben wir es bis zum Parkplatz geschafft. Der Austieg zur Rif. Branca auf 2493m auf der wir in Nacht 1 und 2 übernachteten war nur ein winziger Vorgeschmack auf das was noch folgen würde. Eine Stunde gemütliches Gehen und wir waren da. Die Hütten-Abende verbrachten wir die ganze Woche über mit Lesen, Würfelspielen oder Gesprächen. Ungewohnt? Nur am Anfang. Niemand hat wirklich einen Fernseher oder einen Computer vermisst. Eine Auszeit vom Stress des Lebens im 21. Jahrhundert tat uns allen gut. Gewöhnlich enden die Abende auf den Berghütten auch angenehm früh, spätestens um 22 Uhr ist Bettruhe.

Unser erster großer Berg am zweiten Tag der Tour war der PALON DE LA MARE (3702m) bis zu diesem Tag mein höchster Berg. Die Höhe hat sich bei mir auch deutlich spürbar ausgewirkt. Mir wurde es kurz vor dem Gipfel übel und das legte sich erst wieder als wir wieder einige hundert Höhenmeter tiefer waren. Kurz vor dem Gipfel erwischten wir einen eisigen Wind aber sonst war es ein sonniger und warmer (so warm es eben auf über 3000m sein kann) Tag. Ich bin kein riesiger Fan vom Wandern. Man könnte sich denken, warum zum Teufel macht sie dann so einen Urlaub? Das Wandern an sich ist okay, ich mag es nur nicht besonders wenn man stundenlang läuft ohne dabei irgendwas Cooles zu machen. Auch das haben wir gemacht. Stundenlang einfach nur Zick-Zack-Wege hoch zu laufen, Schritt für Schritt in einem Schneckentempo. Aber das Coole, das ich zwischendrin immer wieder brauche gab es auch. Nichts ist besser als über einen Gletscher zu gehen, mit Steigeisen an den Füßen und einem Eis-Pickel in der Hand.

Unser dritter Tag verlief nicht ganz nach Plan. Um dem schlechten Wetter, das für den Nachmittag angesagt war, zu entgehen, brachen wir schon um 6 Uhr 45 auf zum Monte Pasquale. Auf einem Pass fing es allerdings an zu schneien und der Aufstieg zum Gipfel wäre zu riskant gewesen. Wir stiegen über einen Geröll-Hang zur nächsten Berg-Hütte (Rifugio Pizzini, 2706m) ab. Es war kein offizieller Weg aber wir hatten ja unseren Bergführer, der gemütlich vorausmarschierte. An der Hütte angekommen waren wir nur nass und durchgefroren und ich meinerseits auch unmotiviert und müde, dabei waren wir nur den halben Tag unterwegs. Der Tag ging dann gemütlich auf der Hütte zu Ende und wir saßen am Ofen und spielten Würfelspiele oder lasen. 
Am nächsten Tag brachen wir dann auf zum MONTE CEVEDALE (3769m) und unser Weg führte uns zuerst zwei Stunden den steilen Berg hinauf bis wir oben an der Casati-Hütte angekommen waren. Kurz bevor wir die Hütte erreichten kam starker Wind auf und bald war kaum mehr etwas zu sehen. In der Hütte konnten wir uns den Klettergurt anziehen und einiges aus unserem Rucksack an der Hütte lassen (mein Rücken sagte Danke). Der Bergführer meinte wir würden es probieren den Gipfel zu erreichen aber auch mit dem GPS konnte er nicht sicher sein, dass wir uns nicht verlaufen. Als wir unsere Steigeisen anzogen trafen wir auf zwei Männer aus Deutschland, die sich kurz zuvor ohne Bergführer auf dem Gletscher für eine dreiviertel  Stunde verlaufen hatten. Man sah wirklich nichts aber wir wollten es unbedingt versuchen. Vertrauensselig liefen wir und die beiden Männer hinter unserem Bergführer hinterher und hofften, wir würden den Weg schon finden. Es war nicht zu erkennen, wo der Berg endete und der Himmel anfing oder wo es steil oder flach war. Es kam mir vor wie eine Expedition am Mount Everest. Oder am Nordpol. Irgendwann erreichten wir ein sehr steiles Stück und ich dachte, es wäre besser hier gute Tritte zu finden und nicht wegzurutschen. Ich konzentrierte mich so auf meine Schritte dass ich viel zu spät merkte, dass der Bergführer und meine Mutter vor mir auf weichen, lockeren Schnee getreten waren. Es riss uns den Boden unter den Füßen weg und wir rutschen alle in die Tiefe. Wir hatten ein "Schneebrett", eine kleine Lawine ausgelöst und mitgerutscht. Selten im Leben hat man solche Momente, aber in diesem Moment dachte ich es könnte jetzt tatsächlich vorbei sein. Ich versuchte noch zu bremsen, den Eis-Pickel in den Schnee zu rammen,, aber da wir zu fünft am gleichen Seil waren zog es uns alle nach unten. Ich habe mich ein paar Mal überschlagen und wusste nicht mehr wo oben und unten ist. Aber nach etwa 40 Metern hielt es plötzlich wieder an. Wir waren alle gesund, niemand verletzt. 
Hier sieht man die beiden Männer, die nicht am gleichen Seil waren wie wir. Man sieht es kaum, das Wetter war so schlecht, aber dort oben waren wir Sekunden zuvor auch noch. Wir hatten alles Glück das wir haben konnten. Mein Vater hatte uns gebremst, die Lawine war langsamer geworden. Was wir erst beim Abstieg sehen konnten, war dass der Hang einige Meter weiter noch um einiges steiler wurde. Das Glück war definitiv auf unserer Seite. 
Am Ende waren wir sogar noch auf dem Gipfel, obwohl ich wirklich Angst hatte noch weiter hoch zu gehen. Aber da wir eine andere Gruppe Bergsteiger von oben runterkommen hörten und dann auch sahen versuchten wir in ihrer Spur doch noch den Gipfel zu erreichen und wir haben es auch geschafft.
Am nächsten Tag machten wir uns auf zum höchsten Berg Italiens, dem ORTLER (3905m). An diesem Tag sollten wir keinen Gipfel sehen, sondern nur den Weg zur nächsten Hütte zurücklegen. Die Beine waren schwer, der Rucksack auch und mein Rücken schmerzte unglaublich. Aber wir konnten jetzt natürlich nicht mehr zurück, der letzte Tag war eigentlich der größte von allen. 
Am letzten richtigen Tag unserer Tour klingelte der Wecker um 4 Uhr morgens, Frühstück gab es um halb 5 und um 5 Uhr brachen wir im Dunkeln und mit Stirnlampe am Helm auf. Über Felsen kletterten wir nur im Schein unserer Lampen und waren direkt dabei beim Sonnenaufgang. Auf dem Gletscher schien kurz die Sonne, doch kurz vor dem Gipfel wehte der Wind so stark, dass wir wieder nichts sehen konnten. Doch um 9 Uhr waren wir am Gipfel. Lange konnten wir nicht bleiben und schon bald machten wir uns auch wieder an den Abstieg. Das Ziel erreicht hat man erst dann, wenn man auch heil wieder unten angekommen ist. Am Ende war ich wirklich auch körperlich, kräftemäßig am Ende, mein Nacken und Rücken schmerzte und ich war nur froh als wir zurück an der Hütte waren. Dort verabschiedeten wir uns von unseren zwei Bergführern und stiegen dann allein zur nächsten Hütte ab. Dort verbrachten wir noch eine letzte Nacht und stiegen dann am nächsten Tag zum Parkplatz ab. 
Das Abenteuer ist zu Ende und was bleibt ist die Erinnerung daran. Die Tage in den Bergen haben sich für mich wie eine kleine Ewigkeit angefühlt. Die Zeit vergeht langsamer ohne Handy, Computer, ohne Autos und Termindruck. Wer sein Leben in den Bergen verbringt, wie die großen Alpinisten es getan haben oder heute noch tun, lebt drei Leben lang. Aber auch allein diese Woche die wir dort oben waren, war zwar körperlich anstrengend, bescherte uns Blasen und einen steifen Hals, aber wir waren geistig noch nie so entspannt. In dieser Woche waren das Wichtigste für mich zu erkennen, dass es absolut der Hammer ist zu leben, weil es in Sekunden auch ganz anders aussehen könnte, dass mein Leben ganz und gar nicht langweilig ist und man sich das öfter vor Augen führen sollte, dass meine Familie mir unglaublich wichtig ist und dass das entschleunigte Leben fern von Internet und Co. auch und vor allem absolut spannend sein kann. Ach übrigens, in diesen 6 Tagen habe ich einmal geduscht. Mal ehrlich, wen juckt das da oben schon? Aber ich habe mich am Ende dreimal mehr auf eine Dusche gefreut als auf mein Handy. 


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